New Work - Arbeiten in der digitalen Welt
Lektion 1
Kontrolle vs. Vertrauen
Beim Jour fixe in der Firma von Mara ist eine lebhafte Diskussion darüber entstanden, aus welchen Daten, die man während des Arbeitsalltags ansammelt, welche Schlüsse zu ziehen sind. Mara bleibt bei ihrer Haltung, dass es unfair wäre, eine Leistungsbewertung nur aufgrund der Anzahl getätigter Telefonanrufe, erfolgreicher Kundenkontakte oder versendeter Angebote vornehmen zu wollen. Andererseits kann sie auch die Haltung ihrer Chefin verstehen, die ein mulmiges Gefühl hat, ihre Mitarbeiter*innen beispielsweise im Homeoffice flexibel arbeiten zu lassen, ohne die Kontrolle darüber zu haben, was sie machen.
Wie findet man einen Kompromiss? Letztlich geht es doch darum, die Bedingungen für alle zu verbessern. Mehr Flexibilität für die Mitarbeitenden ist wichtig, damit sie auch mal aus der berüchtigten „Mühle“ herauskommen. So steigt auch ihr Einsatz bei der Arbeit, die unter diesen Bedingungen mehr Spaß macht. Das müsste dann wiederum die Chefin freuen. Maras Kollege Alex hatte es in der Sitzung gut auf den Punkt gebracht: Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen. Doch dann wurde es noch mal ziemlich verrückt, als es um das Thema Arbeitszeit ging.
Ein Urteil zur Zeiterfassung
Chefin: Wir müssen noch über das Thema Arbeitszeiterfassung reden. Da gab es nämlich ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. In Zukunft müssen wir jede Stunde Ihres Arbeitstages genau protokollieren.
Alex: Wie an der Stechuhr? Damit man immer weiß, wann genau man gekommen und gegangen ist?
Chefin: Genau. Nur dass es ab sofort nicht mehr Ihre, sondern unsere Aufgabe ist, das zu protokollieren.
Mara: Jetzt haben wir doch gerade von weniger Kontrolle und mehr Vertrauen gesprochen. Wollten wir nicht eigentlich weg von so einer peniblen Zeiterfassung?
Chefin: Ja, eigentlich schon.
Mara: Was ist denn das für ein merkwürdiges Urteil?
Alex: Ehrlich gesagt, so merkwürdig finde ich das gar nicht.
Im Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die tägliche Arbeitszeit aller EU⁠-⁠Bürger*innen vollständig erfasst werden muss. Das Ziel: Zu überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten werden. Viele sprachen von einem Angriff auf flexible Arbeitsmodelle, bei denen es ja gerade um weniger Kontrolle geht. Ohne genaue Erfassung arbeitet man aber vielleicht mehr als früher oder gar als rechtlich zulässig.
So ist es zum Beispiel nicht erlaubt, bis 23 Uhr Mails zu beantworten und am nächsten Tag um 8.30 Uhr wieder im Büro zu sein. Zwischen zwei Arbeitstagen müssen mindestens elf Stunden Ruhezeit liegen. Überstunden muss ein Arbeitgeber erfassen. Viele Beschäftigte melden diese aber nicht, etwa, weil sie nicht als penibel gelten wollen.
Aufgabe
(Un)glücklich im Job
Mit dem Gedanken, demnächst genaue Protokolle zu ihrer geleisteten Arbeitszeit zu generieren, kann sich Mara noch nicht anfreunden. Wenn es schon um Daten geht, findet sie es viel spannender, zu untersuchen, wie es den Menschen in ihren Jobs geht. Sind sie glücklich mit ihrer Arbeit? Macht sie noch Spaß? Wenn sie an ihren Bekanntenkreis denkt, wird da viel gejammert: Wie anstrengend alles geworden ist oder wie frustrierend der Job ist. Gefühlt jede*r Zweite leidet irgendwann an einem Burnout. Hat eigentlich mal jemand untersucht, wie viele das wirklich sind?
Seit 2001 veröffentlicht die Unternehmensberatung Gallup jährlich den sogenannten Engagement Index. Er untersucht, wie sehr sich Arbeitnehmer*innen emotional an ihr Unternehmen gebunden fühlen und unterteilt sie in drei Gruppen: Diejenigen mit hoher, mit geringer oder so gut wie keiner Bindung. Für die Gallup-Studie 2019 wurden 1.000 zufällig ausgewählte Arbeitnehmer*innen ab 18 Jahren aus unterschiedlichen Berufen befragt. Es handelt sich laut Gallup um eine repräsentative Stichprobe.
Die Ergebnisse: Nur 15 Prozent aller deutschen Beschäftigten scheinen sich bei der Arbeit wohlzufühlen. Der Rest, also 85 Prozent, ist ziemlich bis total unzufrieden, hat „innerlich gekündigt“. Das klingt erschreckend. Viele Expert*innen sehen die Ergebnisse der Studie allerdings kritisch und zweifeln an ihrer Aussagekraft.
Aufgabe
Was motiviert dich?
Wie will man wissen, wie es jemandem wirklich geht? Wie gut jemand wirklich arbeitet, wie zufrieden er oder sie wirklich im Job ist? Mara begreift langsam, wie schwierig das ist. Obwohl es doch so einfach scheint. Man müsste nur fragen: Wie geht es dir? Was motiviert dich oder was gibt dir das Gefühl, du müsstest dir dringend einen anderen Job suchen? Das hat sie sich selbst eigentlich noch nie genau überlegt. Dafür hat sie immer genau gespürt, wann das eine oder das andere der Fall war.