Studiengänge für die digitale Welt: Ergebnisse des Curriculum-Barcamps
Wie lässt sich der Aufbau von Digital- und KI-Kompetenzen im Studium nachhaltig unterstützen? Zu dieser Fragestellung haben das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) und der KI-Campus am 19. Januar 2023 ein Curriculum-Barcamp veranstaltet. Stefan Göllner berichtet in diesem Beitrag von dem Event.
Digitalisierung und KI-Themen werden in Lehre und Studium seit vielen Jahren vorangetrieben. Doch die Veränderung bestehender sowie Konstruktion neuer Studiengänge und die damit einhergehenden neuen Kompetenzprofile stellen die Beteiligten an den Fachbereichen, Fakultäten und Instituten vor viele Fragen.
Der Wissenschaftsrat (WR) hat sich mit den veränderten Anforderungen, die die Digitalisierung an Lehre und Studium stellt, beschäftigt und 2022 entsprechende Empfehlungen veröffentlicht. Eine lautete: Die Studierenden sollten im Fachstudium Kompetenzen für die digitale Welt erwerben können und in der Lage sein, digitale Technologien selbst anzuwenden. Doch wie lässt sich der Erwerb digitaler und KI-Kompetenzen nachhaltig in die Studiengänge integrieren? Bestehende und neue Hochschulcurricula sind danach zu hinterfragen, inwieweit sie adäquate Antworten für die beschriebenen Kompetenzanforderungen liefern und wo einzelne Module, Studiengängen sowie Hochschulen als Ganzes zu verändern sind. Hier stoßen sie teilweise auf große Herausforderungen, z. B. bezüglich einer systematischen oder einer methodischen Vorgehensweise, der Supportstrukturen oder der Partizipation aller notwendigen Stakeholdergruppen. Viele Initiativen haben sich in den letzten Jahren der Curriculumentwicklung gewidmet (z. B. Hochschulforum Digitalisierung, Stifterverband), dennoch findet ein hochschulübergreifender Wissenstransfer zwischen den Akteuren noch zu selten statt. Diese Lücke wollten wir mit dem Barcamp schließen.
Stefan Göllner (KI-Campus) und Lavinia Ionica (HFD) moderierten das Barcamp.
Bereits im September 2022 wurde ein Call for Proposals gestartet, über den Interessierte Sessionvorschläge für das Barcamp in Form von Video-, Audio- und Textbeiträgen einreichen und zur Abstimmung stellen konnten. Im Ergebnis wurden von einer Jury 22 Einreichungen ausgewählt, die am Tag des Barcamps von 45 Speaker:innen in den Sessions vorgestellt wurden. So kam eine Vielzahl innovativer Ansätze für die Studiengangsentwicklung zur Diskussion.
In fünf Themen-Tracks widmeten sich die Speaker:innen der strategischen Gestaltung von Curricula, dem Prozess, den Supportstrukturen und der curricularen Transformation auf Modulebene. Außerdem wurden zahlreiche konkrete Umsetzungsbeispiele für Studiengänge vorgestellt. 230 Hochschulmitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen nahmen an der Veranstaltung teil und brachten ihre individuellen Perspektiven ein. Angesprochen waren Mitarbeitende mit strategischer Ausrichtung (z. B. Hochschul- und Fakultätsleitungen, Stabstellen, Referate), mit Fachperspektive (Lehrende, Studierende, Studiengangsleiter:innen) oder mit methodischer Perspektive (Hochschuldidaktik, Qualitätsentwicklung).
Den Auftakt bildeten zwei Keynotes: Zuerst warf Thomas Hoffmeister (Universität Bremen) einen Blick auf aktuelle Anforderungen an die Transformationsfähigkeit von Studiengängen im Spiegel der Perspektiven der verschiedenen beteiligten Akteure (Titel: »Curriculumentwicklung im Spannungsfeld zwischen Hochschulleitung, Fachbereichen und partizipativen Strukturen«). Er leitete seinen Vortrag mit einem Weckruf ein: Die Wissensvermittlung durch Stoffpräsentation müsse zugunsten einer selbstständigen Wissensaneignung reduziert werden und die Möglichkeiten studentischer Partizipation sollten gestärkt werden. Außerdem wies er auf die großen (und noch ungenutzten) Potenziale durch die Digitalisierung hin, um die Internationalisierung in Studium und Lehre voranzubringen.
Als Vertreterinnen von JISC (Joint Information Systems Committee) gaben Helen Beetham und Sarah Knight in ihrer Keynote Einblicke in die Situation in Großbritannien. Grundlage bildete eine erst kürzlich veröffentlichte Studie, in der curriculare Anpassungen in Folge der Corona-Krise untersucht wurden (Approaches to curriculum and learning design across UK higher education). Blended Formate und raumzeitliche Abhängigkeiten standen dabei im Vordergrund aber auch die Bedeutung und Funktion asynchroner Formate im Lernprozess. Es zeigte sich, dass Digitalisierungsthemen im Krisenmodus einen starken Aufwind erhielten und schneller Eingang in die Curricula fanden. Die Speakerinnen stellten aber auch heraus, dass Veränderungen nicht nachhaltig sein werden, wenn die Anforderungen von Lehrenden und Lernenden nicht ausreichend ernst genommen werden.
In den Sessions wurde viel Wert auf den interaktiven Austausch und das gemeinsame Erarbeiten von Handlungsoptionen gelegt. Übereinstimmung bestand darin, dass Veränderungen in vielen kleinen Schritten angestoßen werden müssen, da sich etablierte Strukturen oftmals nicht kurzfristig anpassen lassen. Als ein wichtiger Faktor wurde die Stärkung der Supportstrukturen betrachtet, z. B. durch gezielte Angebote zur Studiengangs(weiter)entwicklung und Prozessbegleitung. Diese solle auch verstärkt auf Expertise von außen zurückgreifen und könne fakultätsübergreifende Prozesse anstoßen.
Auch das Auslagern „neuer“ Themen in Wahlpflichtveranstaltungen, um die Integration zu erleichtern, wurde diskutiert. Insgesamt als wichtig erachtet wurde, neue Experimentierräume zu schaffen, in denen Veränderungen in Laborformaten erprobt werden können. Diese sollten insbesondere Einsatzmöglichkeiten digitaler Formate einbeziehen. Aber auch Chancen von Internationalisierungsstrategien wurden angesprochen, die den Hochschulen ermöglichen, Impulse zu Inhalten und Vermittlungsansätze zu erhalten. Entwicklungen hin zu fakultätsübergreifenden Angeboten aber auch Inzentivierungsmechanismen könnten für die Strukturänderungen treibende Faktoren sein.
Neue agile curriculare Strukturmodelle wurden als Zukunftsvision skizziert, jedoch kam auch die Frage auf, welche Ansprüche an die Selbstorganisationsfähigkeiten der Studierenden diese stellen und welche Zusatzbelastungen so entstehen könnten.
Bezogen auf die Entwicklung von KI-Curricula wurde das Potenzial praktischer Projektarbeit als fester Bestandteil curricularer Vorgaben vorgestellt und diskutiert. Dies betrifft auch Fragen nach neuen Formen der Zusammenarbeit von Lehrenden und Studierenden sowie nach neuen Bewertungsmodellen. Die Bedeutung von Studierenden als Beteiligte auf Augenhöhe aber auch als „Markenbotschafter:innen“ für Veränderungen wurde in verschiedenen Sessions als wichtiger Erfolgsfaktor hervorgehoben.
Im Anschluss an die Arbeit in den Sessions wurde an fünf (digitalen) Thementischen ein erstes Fazit gezogen. Der Nutzen eines übergreifenden Austauschs wurde von den Teilnehmenden bestätigt und geeignete Anschlussformate diskutiert. Ziel ist es nun, auf Grundlage der Session-Dokumentationen ein gemeinsames Papier zu entwickeln, das die Ergebnisse zusammenfasst und eine weiterführende Diskussion vorbereitet. Im Ergebnis bot das Barcamp eine hochschulübergreifende Transfer- und Austauschgelegenheiten, bei der die „Good Practice” der Curriculumentwicklung im Zentrum stand. Herausforderungen und Lösungsansätze bei der Transformation von Curricula wurden in den Sessions herausgearbeitet und dokumentiert. So entstand eine Grundlage für eine geteilte Wissensbasis rund um Themen der Curriculumentwicklung, die für die Arbeit des Hochschulforums Digitalisierung und des KI-Campus von großem Wert sein wird und die Basis für geplante Anschlussaktivitäten bildet.
Ansprechpartner:innen
KI-Campus: Stefan Göllner
Hochschulforum Digitalisierung: Lavinia Ionica