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Wir müssen reden! – Vielleicht auf der Learning AID?

By Jonas Leschke
05/22/2024 - 09:00

Jonas Leschke von der Ruhr-Universität Bochum ist einer der Initiatoren der Learning AID, der zentralen Tagung zu Learning Analytics, KI und Data Mining in der Hochschulbildung. Sein Rat zum Umgang mit generativer KI an der Hochschule ist es, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und viele unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen.

In aktuellen Diskussionsrunden in Workshops, im Anschluss von Vorträgen oder individuellen Sprechstunden zu generativer KI in der Hochschullehre kann bisweilen der Eindruck entstehen, dass die anwesenden Expert:innen keine konkreten Antworten auf Fragen von Lehrenden zu ihren jeweiligen Lehrveranstaltungen geben wollen oder können. Häufig stellen sie nämlich Gegenfragen wie beispielsweise: Wie ist das didaktische Design Ihrer Lehrveranstaltung? Welche Möglichkeiten erlaubt Ihre Prüfungsordnung? Was sind Ihre Lernziele? Doch was wie ein Ausweichmanöver wirkt, spiegelt uns doch eines wider: Lehre ist komplex und muss im Gesamtkontext betrachtet werden. Individuelle Lehrberatungen brauchen Zeit und auch in Zeiten der breiten Verfügbarkeit generativer KI ist das bekannte hochschuldidaktische Fragenportfolio aktueller denn je. Wenn Lehrende gerade in Veranstaltungen mit vielen Teilnehmenden aber ohnehin keine konkreten Antworten auf ihre Fragen bekommen, wieso sollten sie dann überhaupt an solchen Angeboten teilnehmen?
 

Ich sehe was, was du nicht siehst: Ausgangslage

Expert:innen für generative KI nehmen – so wie im wissenschaftlichen Kontext üblich – eine bestimmte Perspektive auf das Thema ein. Die Perspektive hängt meist von ihrer wissenschaftlichen Affiliation ab. Hochschuldidaktiker:innen schauen mit einer hochschuldidaktischen Perspektive auf das Thema, Datenschützer:innen mit einer datenschutzrechtlichen Perspektive, Ethiker:innen mit einer ethischen Perspektive, Schreibdidaktiker:innen mit einer schreibdidaktischen Perspektive, Techniker:innen mit einer technischen Perspektive, Forscher:innen mit einer Forschungsperspektive, Hochschulleitungen mit einer Perspektive der Hochschulleitung...

All diese Perspektiven sind wichtig, da generative KI noch immer und auch zukünftig viele Unbekannte für die Hochschullehre mit sich bringt, deren Diskussion aus all diesen Perspektiven erfolgen muss. Denn nur so kann im Spannungsfeld universitären Lehrens und Lernens ein Gesamtbild gezeichnet werden. Doch weil die intensive Diskussion um generative KI in der Hochschullehre noch jung ist, sind sich sogar Expert:innen mit der gleichen Perspektive auf das Themenfeld – häufiger als in wissenschaftlichen Diskussionen üblich – nicht einig, welche Konsequenzen für die Hochschullehre eigentlich zu ziehen sind.

Was all diese unterschiedlichen Expert:innen aber gemeinsam haben, ist, dass sie generative KI in der Hochschullehre zwar aus ihrer Perspektive, aber allgemein für eine breite Zielgruppe diskutieren – ein konkreter Fach- oder Veranstaltungsbezug wird höchstens exemplarisch gegeben. Die Bedarfe der ratsuchenden Lehrenden sind aber genau diese: Sie wollen Antworten zu Fragen an ihrer Hochschule, in ihrem Fach, zu ihrer Lehrveranstaltung, für ihre aktuellen Studierenden.

Überspitzt formuliert: Hochschullehrende sehen ihre Lehrveranstaltung; Expert:innen sehen generative KI im Kontext ihres Themas.

Mit der Darstellung in diesem Abschnitt möchte ich keinesfalls zum Ausdruck bringen, dass Hochschullehrende naive Wünsche haben oder Expert:innen ihre Expertise überschätzen bzw. eine ignorante Haltung einnehmen. Zur Problemdarstellung, Reflexionsanregung und als Anregung zum transparenten Umgang mit der eigenen Perspektive erlaube ich mir diese Überspitzung.

 

Tauziehen: Informationsphase

Was ich im vorherigen Abschnitt beschrieben habe, ist im Grunde nicht überraschend oder im wissenschaftlichen Kontext überhaupt besonders erwähnenswert. Eigentlich ist die Diskussion und Forschung um (generative) KI auch nicht gänzlich neu, in ihrer Intensität und akuten Praxisbedeutung aber schon. Wir können in der Diskussion daher Effekte und Mechanismen neu aufkommender Forschungs- und Praxisfelder beobachten, indem beispielsweise First Mover eine ungewöhnlich große Sichtbarkeit und Einfluss auf das Feld haben. Dadurch tritt ihre Sichtweise mindestens kurzzeitig in den Vordergrund der Diskussion. Dieser Effekt ist wichtig, damit der notwendige diskursive Raum entstehen kann, in dem Expert:innen mit weniger repräsentierten Sichtweisen das Bedürfnis haben, einen Gegenpol in der Diskussion zu bilden. So entwickelt sich im besten Fall ein produktives Tauziehen um die Deutungshoheit im sich entwickelnden Feld.

In der Diskussion um generative KI in der Hochschullehre lässt sich beispielsweise anhand der Debatten zur Bedeutung spezieller KI-Kompetenzen oder zur Durchführung von unüberwachten Prüfungsleistungen beobachten, dass wir mittlerweile die zweite Phase der zuvor beschriebenen Entwicklung erreichen. Immer mehr Personen arbeiten sich in das Themenfeld generativer KI in der Hochschullehre ein und befruchten mit ihrer Perspektive durch wichtige neue Impulse die Diskussion.
 

Puzzeln: Erörterung

Doch auch wenn sich die notwendigen Diskussionen ausbilden, gibt es noch kaum wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Aktuelle Metastudien zu Effekten von generativer KI auf das Lehren und Lernen an Hochschulen beschreiben die Aussagekraft der dargestellten Ergebnisse als limitiert. Es fehlt an (empirischer) Forschung, auf deren Basis ein wissenschaftlich fundierter Praxistransfer möglich ist. In der Zwischenzeit können lehrunterstützende Einrichtungen nur mit einer gewissen Unsicherheit beraten, was jedoch nicht heißt, dass eine solche Beratung nicht fundiert wäre. Immerhin ist anzunehmen, dass sich auch durch generative KI die kognitiven, biologischen Prozesse des Lernens nicht ändern, sodass beispielsweise hochschuldidaktische Modelle oder Erkenntnisse aus der pädagogischen Psychologie im Allgemeinen auch im Kontext von generativer KI noch Bestand haben.

Dennoch sind Lehrende mehr denn je angehalten, sich mit den unterschiedlichen Perspektiven auf generative KI in der Hochschullehre auseinanderzusetzen und die jeweiligen allgemeinen Empfehlungen auf ihren individuellen Kontext zu übertragen. Sie müssen Fragen beantworten wie beispielsweise: Welchen Einfluss nimmt generative KI auf das didaktische Design meiner Lehre? Was erlaubt mir die Prüfungsordnung, um in Zeiten generativer KI weiterhin mit hoher Güte zu prüfen? Was sind meine Lernziele und welche Bedeutung hat generative KI für diese?
 

Spielebörse: eine Empfehlung und eine Einladung

Ich empfehle Lehrenden daher, aktuell möglichst viele Perspektiven auf generative KI in der Hochschullehre kennenzulernen. Hochschuldidaktische Grundmodelle, wie das Constructive Alignment, können dafür Orientierung bieten. Vorträge, (aufgezeichnete) Themenreihen, Informationsveranstaltungen und -material, Diskussionsrunden, Workshops und selbstverständlich auch Selbstlernkurse zu generativer KI gibt es bereits diverse. Nutzen Sie die Vielfalt dieser Angebote und gehen Sie dabei gerne auch mal aus Ihrer thematischen Komfortzone heraus.

Wir vom Team der Learning AID möchten Sie dafür zur diesjährigen Learning AID am 2. und 3. September 2024 an der Ruhr-Universität in Bochum einladen, bei der auch der KI-Campus einer der Partner ist. Die Learning AID ist die zentrale Tagung im deutschsprachigen Raum zu Learning Analytics und generativer KI in der Hochschulbildung und bietet Ihnen die Möglichkeit, sich über die verschiedenen zuvor skizzierten Perspektiven zu informieren, zu vernetzen und natürlich Fragen zu stellen. Die Tagung richtet sich gleichermaßen an Praktiker:innen und Forschende und bringt Lehrende und Expert:innen in den direkten Austausch miteinander. Über die Tagungswebsite können Sie sich jetzt für Ihre Teilnahme registrieren.

Ich freue mich darauf, dort auch über diesen Blogbeitrag mit Ihnen zu sprechen und natürlich Ihre eigene Perspektive auf generative KI in der Hochschullehre kennenzulernen.

Jonas Leschke
Jonas Leschke
Ruhr-Universität Bochum


Jonas Leschke ist Leiter der Stabsstelle für Strategische Lehrprojekte am Zentrum für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum. In seiner vorherigen Rolle als Projektkoordinator des Projekts KI:edu.nrw hat er zusammen mit Peter Salden die Learning AID ins Leben gerufen.